Veranstaltung: | LDV am 17. Dezember 2022 in Mainz |
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Tagesordnungspunkt: | 8. Verschiedenes |
Status: | Beschluss (vorläufig) |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenversammlung |
Beschlossen am: | 17.12.2022 |
Eingereicht: | 18.12.2022, 15:38 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Fachkräftemangel begegnen - eine aktive Zuwanderungspolitik für Deutschland
Beschlusstext
Jede*r merkt es: Ob in Arztpraxen, Kindertagesstätten, der Gastronomie, im
Handwerk, im ÖPNV, in der Industrie – eigentlich überall: Deutschland und
Rheinland-Pfalz gehen die Arbeitskräfte aus. Und das, obwohl der Renteneintritt
der Baby-Boomer-Generation gerade erst beginnt. Neben vielen anderen Maßnahmen
brauchen wir eine zeitgemäße und vorausschauende Zuwanderungspolitik, um dem
Fachkräftemangel zu begegnen. Bis 2030 könnten uns bis zu fünf Millionen Fach-
und Arbeitskräfte fehlen. Nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen brauchen
wir eine Nettozuwanderung von etwa 400.000 Menschen pro Jahr. Ohne diese
Menschen können wir unseren Bedarf an Arbeitskräften nicht decken und unseren
Wirtschaftsstandort und unsere Daseinsvorsorge nicht aufrechterhalten. Schon
jetzt führt der Mangel an Fach- und Arbeitskräften auf das Jahr gerechnet zu
einem Verlust von mehr als 80 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung.
Mit dem geplanten neuen Einwanderungsrecht erkennt die Bundesregierung endlich
an: Deutschland ist ein Einwanderungsland und handelt jetzt auch entsprechend.
Wenn wir weiterhin wirtschaftlich erfolgreich bleiben wollen, müssen wir uns im
internationalen Wettbewerb um schlaue Köpfe und fleißige Hände erfolgreich
bewähren. Deshalb muss Deutschland, muss Rheinland-Pfalz als Einwanderungsland
attraktiver werden. Wir müssen nicht nur bessere Arbeitsbedingungen bieten,
sondern auch das Lebensumfeld so gestalten, dass sich zugewanderte Menschen
wohlfühlen und bleiben möchten. Hier hat Rheinland-Pfalz mit seiner offenen
Lebensart, der Geselligkeit und Weltoffenheit einen klaren Standortvorteil, den
wir bewahren und ausbauen werden. Aber auch unsere offene Gesellschaft ist kein
Selbstläufer: Anerkennung von Vielfalt, Integration und Willkommenskultur
brauchen unser dauerhaftes Engagement.
Außerdem vollzieht die Ampel im Bund endlich einen Paradigmenwechsel in der
Flüchtlingspolitik: Menschen, die seit fünf Jahren geduldet oder gestattet in
Deutschland leben, erhalten für zunächst 18 Monate das Chancen-Aufenthaltsrecht.
Während dieser Zeit soll ihnen Gelegenheit gegeben werden, die übrigen
Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen. Diese Menschen, die über die
lange Aufenthaltszeit ihr Lebensumfeld in Deutschland gefunden haben, erhalten
damit eine dauerhafte Bleibeperspektive. Mit den geplanten Anpassungen des
Staatsbürgerschaftsrechts geht die Bundesregierung noch einen Schritt weiter und
öffnet vielen Menschen, die sich um unser Land verdient machen, den Weg in die
deutsche Staatsbürgerschaft. Damit setzen wir das Signal: Wir wollen euch als
Teil unserer Gesellschaft.
Zeitgleich leisten wir uns jedoch immer noch ein System, indem Abschiebungen von
nicht straffällig gewordenen Menschen an der Tagesordnung sind und knappe
Kapazitäten bei Ausländer- und Sicherheitsbehörden binden. Auch hier müssen wir
ansetzen. Der Grundsatz muss lauten: Arbeit statt Abschiebung, Ausbildung statt
Abschiebung!
Wir brauchen jede helfende Hand und müssen die Menschen, die heute bereits hier
sind, integrieren und qualifizieren, damit sie in Deutschland und Rheinland-
Pfalz arbeiten können. Parallel müssen wir legale Zugangswege der Arbeits- und
Bildungsmigration niedrigschwellige, effektiver und verständlicher gestalten und
damit eine moderne Einwanderungspolitik vorlegen, die das Einwanderungsland
Deutschland attraktiv macht und in die Zukunft führt.
Wir stellen uns deshalb klar gegen alle populistischen, gestrigen und
diffamierenden Äußerungen aus den Reihen der Union. Sie diffamieren den
aktuellen und den historischen Beitrag von Migrant*innen für die wirtschaftliche
Entwicklung unseres Landes, sie gefährden den Erhalt unserer Standortvorteile
und schaden letztlich dem Wirtschaftsstandort Deutschland und Rheinland-Pfalz.
Migration ist eine Konstante der Menschheitsgeschichte. Migration macht jede
Gesellschaft anpassungsfähig. Wir wollen unsere Migrationspolitik vorausschauend
und realistisch gestalten und unser Land für die Zukunft vorbereiten. Dafür
braucht es ein positives Umfeld, sachliche Debatten und eine solidarische
Willkommenskultur, statt zukunftsfeindliche Debatten von Vorvorgestern.
Deshalb fordern wir:
Weg von Abschiebung - hin zum Aufenthaltsmanagement
Deutschland muss den Menschen, die lange bei uns leben, eine dauerhafte
Bleibeperspektive bieten. Für einen Wechsel in einen Arbeitsaufenthalt
sollen künftig auch die einjährigen Helfer*innenausbildungen
berücksichtigt werden. Die Menschen, die bei uns leben und sich in unserer
Gesellschaft einbringen, müssen wir wertschätzen. Wir müssen den
Spurwechsel zulassen. Deshalb muss Schluss sein mit Abschiebungen aus der
Duldung, wenn die Menschen eine Arbeit ausüben und sofern keine schweren
Straftaten begangen wurden.
Wir müssen den Eintritt in ein aktives Aufenthaltsmanagement gestalten.
Dies kann beispielsweise durch einen engeren Austausch zwischen
Ausländerbehörden und Jobcentern zur gemeinsamen Vermittlung von
arbeitssuchenden Migrant*innen gelingen.
Wir müssen die Arbeitskräfte von Morgen anwerben, Standortnachteile wie
Sprachbarrieren aktiv angehen
Arbeitskräftezuwanderung muss weiter gedacht werden als die Zuwanderung
von bereits gut ausgebildeten Fachkräften. Bei tausenden offenen
Ausbildungsplätzen alleine in Rheinland-Pfalz müssen wir neue Wege gehen,
um potentielle Auszubildende aus dem Ausland mit Unternehmen und Betrieben
in Rheinland-Pfalz zusammen zu bringen. Hier ist ein aktives Azubi-
Anwerber*innenmanagement notwendig, mit dem bestehende Hürden überwunden
werden.
Denkbar wäre beispielsweise der Aufbau eines Azubi-Vorbereitungs-Jahres
für ausländische Interessent*innen in Rheinland-Pfalz, die Einführung von
englischsprachigen oder bilingualen Ausbildungslehrgängen, intensive
allgemeine und berufsbezogene Sprachförderung oder eine Reduzierung der
Auflagen für die Einreise zur Ausbildungssuche. Hierzu werden wir das
Gespräch mit den Verbänden suchen.
GRÜNE Einwanderungspolitik orientiert sich an den Aspekten der globalen
Nachhaltigkeit. So braucht es etwa klare Regeln, um eine Abwanderung von
branchenspezifischen Fachkräften aus Herkunftsländern zu vermeiden; denn
diese Länder sind ihrerseits mit einem von der UN bestätigten „kritischen
Mangel“ in bestimmten Branchen konfrontiert. Darüber hinaus unterstützen
wir die Ansätze der fairen Arbeitsmigration, in dem Schulungs- und
Ausbildungsmöglichkeiten in Herkunftsländern aufgebaut werden, von denen
die Migrationsinteressierten, die Herkunftsländer und Deutschland
profitieren können,
Kommen um zu bleiben: Wir wollen ein einladendes Umfeld schaffen
Wir wollen, dass Menschen gerne zu uns kommen und sich bei uns wohlfühlen,
damit sie auch bleiben und unsere Wirtschaft und Gesellschaft bereichern
können. Mit unserer offenen Gesellschaft und herzlichen Lebensart wird
Rheinland-Pfalz bereits heute schnell zu einer neuen Heimat für
Migrant*innen. Deshalb müssen wir unnötige Hürden für die Einwanderung aus
dem Weg räumen und die Verfahren so weit wie möglich digitalisieren und
beschleunigen. Die Gültigkeitsdauer von Aufenthaltserlaubnissen und Visa
wollen wir verlängern.
Einwanderungspolitik muss familienfreundlich und transparent sein. Hierzu
gehört, dass Zuwanderer*innen mit ihren Familien nach Deutschland kommen
dürfen. Alle Beteiligten – von den Arbeitskräften selbst über die
Arbeitgeber*innen bis hin zu Verwaltungen in unseren Kommunen – müssen gut
beraten und unterstützt werden. Hierfür braucht es flächendeckend
professionelle Migrationsberatung auch für Erwerbstätige und ihre
Familien, sowohl vor der Einreise als auch beim Ankommen in Deutschland.
Neben den vielen gesellschaftlichen Gruppen und Ehrenamtlichen, die sich
jetzt schon für die Integration von geflüchteten und eingewanderten
Menschen engagieren, streben wir einen Schulterschluss auch mit denen an,
die auf die Zuwanderung so dringend angewiesen sind: unsere
Unternehmer*innen in Rheinland-Pfalz. Denn der Arbeitsplatz ist ein
wichtiges Umfeld, in dem sich Migrantinnen und Migranten ohne Wenn und
Aber sicher und willkommen fühlen müssen.